Samstag, 4. Oktober 2025

Im Farbdreieck des Todes


 Zu Christian Petzolds Film Miroirs No. 3 (Kinostart: 18.09.2025)
 
Eine lebensmüde Klavierstudentin verschlägt es nach einem Autounfall in einen Haushalt, in dem untergründig Trauer und Verlust herrschen. Ob Christian Petzold über diese gegenwendige Konstellation mit Miroirs No. 3 ein befriedigender Film gelungen ist, bleibt fragwürdig. 
 
An Subtilität lässt die Eröffnung des neuen Films von Christian Petzold, Miroirs No. 3, nichts zu wünschen übrig. Dabei beginnt er mit einem altbekannten Motiv: Junge Frau trägt sich offenkundig mit dem Gedanken, ins Wasser zu gehen. An einem Sommertag schaut die Klavierstudentin Laura (Paula Beer) von einer Verkehrsbrücke trübsinnig auf einen Fluss; und noch trübsinniger, als sie an dessen Ufer steht. Petzold durchkreuzt das Motiv mit der Persiflage eines noch viel älteren, nämlich des Totenfährmanns, der ins Jenseits befördert. Ein Stand-up-Paddler, eine ganz und gar schwarze Gestalt, zieht ruhig an der am Ufer Verharrenden vorbei. Wer mag in einem so befahrenen Gewässer noch einen würdigen Freitod finden wollen? 
 
Was vom Selbstmord-Wunsch übrig bleibt, das Antlitz des Todes, bietet Petzold ungefähr aus Lauras Perspektive zur Betrachtung an. Es ist die Wasseroberfläche, die sich in drei Farbpartien teilt: Schwarz, Blau sowie – von allen am gekünstelsten –Rot für die Lichtreflexe der Sonne. Die drei Farb-Spiegelungen dürften dem Film seinen Titel gegeben haben. Wie minimalistische Abstraktionen von Tarotkarten bestimmen sie die weiteren Geschehnisse. 
 
Schwarz trägt die Frau, die mit Laura einen verwundert-wiedererkennenden Blick tauscht und die Lauras ungeliebter Freund später auf einer kurvigen Landstraße fast überfahren wird. Rot ist das Cabrio, in dem sich das Paar kurz darauf überschlägt. Der junge Mann ist tot. Betty (Barbara Auer), die nicht mehr vollständig Schwarz trägt, findet die aus dem Wagen geschleuderte Laura mit einer leichten Verletzung vor. Als Polizei und Rettungskräfte den Unfall bearbeitet haben, bittet Laura darum, noch eine Weile in Bettys bildungsbürgerlich eingerichtetem Häuschen bleiben zu dürfen. 
 
Christian Petzold : Miroirs No. 3 : INTERVIEW : artechock
Blicktausch vor dem Fast-Tod.
 
 
Dem Tod ist Laura entronnen – aber, möchte man einwenden, nur physisch, nicht psychisch. Wenn Laura von Betty eine blaue Jeans und ein rotes Sweatshirt mit der Aufschrift ‚Babybel‘ erhält und ihr eigentlich braunes Haar per Filter von Kamera-mann Hans Fromm einen starken Stich ins Schwarz bekommt, nimmt sie gemäß der Farbsymbolik des Beginns des Films die Gestalt des Todes an. 
 
Christian Petzolds Kinodrama „Miroirs No. 3“: Das Summen der Lebensfäden
In fremden Kleidern.
 
 
Ein Kammerspiel-Drama entspinnt sich. Um nicht allzu viel von den Hergängen zu verraten, sei auf den Demeter-und-Persephone-Mythos verwiesen. Man kann auch von einer intergenerationellen Variante von Hitchcocks Rebecca oder Vertigo spre-chen, versetzt in die Provinz bei Berlin. Wenn Betty statt ‚Laura‘ versehentlich ‚Jelena‘ sagt, ist klar, dass Laura ein abwesendes Familienmitglied ersetzt. Das Schwarz und die Ausstrahlung der stillen Schmerzensfrau abgelegt, präsentiert Betty Laura in ihrer Substitutfunktion samt Koch- und Klavierspielkünsten ihren verdutzten, Handwerker-Männern. Das sind ihr Gatte Richard (Matthias Brandt) und ihr Sohn Max (Enno Trebs), die eine Autowerkstatt betreiben. Ersterer freut sich still über das durch Lauras Gegenwart wiederhergestellte Eheglück mit Betty, letzterer besteht auf seiner Trauer um die Abwesende, für die Laura einstehen soll. 
 
Nun versucht das Drehbuch aber, nicht nur aus der Position dieser Abwesenden im Familienensemble, sondern sogar daraus, dass es um ein Ersetzungsprogramm geht, ein Geheiminis zu machen, das den Spannungsbogen des Films trägt. Das muss bei einem durchschnittlich ausgeprägten Ahnungsvermögen des Publikums schiefgehen, auch ohne Kenntnis der Anleihen bei griechischer Mythologie und Hollywood. Das Rätselkalkül wird weit überdehnt. Der Retardierungen müde und ungeduldig das überfällige erklärende Wort zur Tragödie in Bettys Familie erwartend, kann der Zuschauer die spröde Schönheit der Bilder gar nicht mehr würdigen. Der Moment der Enthüllung selbst wird obsolet. Einerseits verlangt Petzold fürs Sehvergnügen anspruchsvolle Bildkompositionsentzifferungskompetenz, andererseits traktiert er über eine Stunde mit Durchschaubarkeiten. Das passt nun wirklich nicht zusammen. 
 
Warum die handwerkenden Männer sich nicht bedanken können, nur ungern den Blaumann ablegen und klassische Musik hören, erscheint ebenfalls unpassend, fällt jedoch kaum ins Gewicht. Immerhin schlägt sich Matthias Brandt wacker im neuen Rollensegment, ist man von ihm doch eher Geistesarbeiter gewöhnt. Hingegen wirkt sich potenzialvernichtend für den Film aus, dass Laura vollendete kindliche Ahnungs- und Arglosigkeit verliehen wird. Weder fragt sie, wem die „Anziehsachen“ (Betty) einmal gehört haben, die ihr wie angegossen sitzen, noch wer zuvor auf dem Klavier –bedeutungsschweres Detail: es ist nicht gestimmt – früher gespielt hat. Am Ende muss sie sogar als verwöhnte Papa-Göre dastehen, damit ihre Ignoranz glaubwürdig ist. Der Film schließt fast im Ulk. 
 
Mit Laura erreichen die Figuren, die Paula Beer für Petzold verkörpert, einen neuen Grad der Unwirklichkeit. Weil Laura, hegelianisch gesprochen, den Tod nur an sich hat, aber nicht für sich, als Bewusstsein, wird ihrer Figur wie dem Publikum eine metaphysische Erfahrung besonderer Art vorenthalten, wie sie etwa bei Pirandello oder Sartre begegnet. Sie besteht im Durchleben der Konsequenz des Todes. Unter dem Diktat des Farbschicksals hätte Laura als ihrer selbst als solche bewusste Wiedergängerin einer Toten den unheilbaren Riss spüren können, den ein Freitod hinterlässt, wie sie ihn anscheinend im Sinn gehabt hat. Das eigene Leben hat ebenso unschätzbaren Wert für einen selbst wie für die anderen. 
 
Das konnte oder wollte Petzold nicht zeigen. Vielleicht war es ihm zu erbaulich. Aber seine Alternative ist das schlechte Alibi für eine reifere Geschichte, die der Stoff hergegeben hätte und mit der der Film das Niveau des Anfangs hätte wahren können. Petzold hat die Schlüsselzeile des Songs „The Night“, den Laura und Max hören, überhört, nämlich dass die Nacht – der Tod - einem den Kopf verdreht. Seinen Kopf hat er/sie nicht genug verdreht. 
 
Andreas Günther 

Ergreifend manipulativ

  Zu Joachim Triers Film Sentimental Value (Kinostart: 4.12.2025) Fast eine Mogelpackung: Sentimental Value ist ein hervorragend gespie...