Zu Christian Petzolds Film Miroirs No. 3 (Kinostart: 18.09.2025)
Eine lebensmüde Klavierstudentin verschlägt es nach einem Autounfall in einen
Haushalt, in dem untergründig Trauer und Verlust herrschen. Ob Christian Petzold
über diese gegenwendige Konstellation mit Miroirs No. 3 ein befriedigender Film
gelungen ist, bleibt fragwürdig.
An Subtilität lässt die Eröffnung des neuen Films von Christian Petzold, Miroirs No. 3, nichts zu wünschen übrig.
Dabei beginnt er mit einem altbekannten Motiv: Junge Frau trägt sich offenkundig
mit dem Gedanken, ins Wasser zu gehen. An einem Sommertag schaut die
Klavierstudentin Laura (Paula Beer) von einer Verkehrsbrücke trübsinnig auf
einen Fluss; und noch trübsinniger, als sie an dessen Ufer steht. Petzold
durchkreuzt das Motiv mit der Persiflage eines noch viel älteren, nämlich des
Totenfährmanns, der ins Jenseits befördert. Ein Stand-up-Paddler, eine ganz und
gar schwarze Gestalt, zieht ruhig an der am Ufer Verharrenden vorbei. Wer mag in
einem so befahrenen Gewässer noch einen würdigen Freitod finden wollen?
Was vom
Selbstmord-Wunsch übrig bleibt, das Antlitz des Todes, bietet Petzold ungefähr
aus Lauras Perspektive zur Betrachtung an. Es ist die Wasseroberfläche, die sich
in drei Farbpartien teilt: Schwarz, Blau sowie – von allen am gekünstelsten –Rot
für die Lichtreflexe der Sonne. Die drei Farb-Spiegelungen dürften dem Film
seinen Titel gegeben haben. Wie minimalistische Abstraktionen von Tarotkarten
bestimmen sie die weiteren Geschehnisse.
Schwarz trägt die Frau, die mit Laura
einen verwundert-wiedererkennenden Blick tauscht und die Lauras ungeliebter
Freund später auf einer kurvigen Landstraße fast überfahren wird. Rot ist das
Cabrio, in dem sich das Paar kurz darauf überschlägt. Der junge Mann ist tot.
Betty (Barbara Auer), die nicht mehr vollständig Schwarz trägt, findet die aus
dem Wagen geschleuderte Laura mit einer leichten Verletzung vor. Als Polizei und
Rettungskräfte den Unfall bearbeitet haben, bittet Laura darum, noch eine Weile
in Bettys bildungsbürgerlich eingerichtetem Häuschen bleiben zu dürfen.
| Blicktausch vor dem Fast-Tod. |
Dem Tod
ist Laura entronnen – aber, möchte man einwenden, nur physisch, nicht psychisch.
Wenn Laura von Betty eine blaue Jeans und ein rotes Sweatshirt mit der
Aufschrift ‚Babybel‘ erhält und ihr eigentlich braunes Haar per Filter von
Kamera-mann Hans Fromm einen starken Stich ins Schwarz bekommt, nimmt sie gemäß
der Farbsymbolik des Beginns des Films die Gestalt des Todes an.
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| In fremden Kleidern. |
Ein
Kammerspiel-Drama entspinnt sich. Um nicht allzu viel von den Hergängen zu
verraten, sei auf den Demeter-und-Persephone-Mythos verwiesen. Man kann auch von
einer intergenerationellen Variante von Hitchcocks Rebecca oder Vertigo
spre-chen, versetzt in die Provinz bei Berlin. Wenn Betty statt ‚Laura‘
versehentlich ‚Jelena‘ sagt, ist klar, dass Laura ein abwesendes
Familienmitglied ersetzt. Das Schwarz und die Ausstrahlung der stillen
Schmerzensfrau abgelegt, präsentiert Betty Laura in ihrer Substitutfunktion samt
Koch- und Klavierspielkünsten ihren verdutzten, Handwerker-Männern. Das sind ihr
Gatte Richard (Matthias Brandt) und ihr Sohn Max (Enno Trebs), die eine
Autowerkstatt betreiben. Ersterer freut sich still über das durch Lauras
Gegenwart wiederhergestellte Eheglück mit Betty, letzterer besteht auf seiner
Trauer um die Abwesende, für die Laura einstehen soll.
Nun versucht das Drehbuch
aber, nicht nur aus der Position dieser Abwesenden im Familienensemble, sondern
sogar daraus, dass es um ein Ersetzungsprogramm geht, ein Geheiminis zu machen,
das den Spannungsbogen des Films trägt. Das muss bei einem durchschnittlich
ausgeprägten Ahnungsvermögen des Publikums schiefgehen, auch ohne Kenntnis der
Anleihen bei griechischer Mythologie und Hollywood. Das Rätselkalkül wird weit
überdehnt. Der Retardierungen müde und ungeduldig das überfällige erklärende
Wort zur Tragödie in Bettys Familie erwartend, kann der Zuschauer die spröde
Schönheit der Bilder gar nicht mehr würdigen. Der Moment der Enthüllung selbst
wird obsolet. Einerseits verlangt Petzold fürs Sehvergnügen anspruchsvolle
Bildkompositionsentzifferungskompetenz, andererseits traktiert er über eine
Stunde mit Durchschaubarkeiten. Das passt nun wirklich nicht zusammen.
Warum die
handwerkenden Männer sich nicht bedanken können, nur ungern den Blaumann ablegen
und klassische Musik hören, erscheint ebenfalls unpassend, fällt jedoch kaum ins
Gewicht. Immerhin schlägt sich Matthias Brandt wacker im neuen Rollensegment,
ist man von ihm doch eher Geistesarbeiter gewöhnt. Hingegen wirkt sich
potenzialvernichtend für den Film aus, dass Laura vollendete kindliche Ahnungs-
und Arglosigkeit verliehen wird. Weder fragt sie, wem die „Anziehsachen“ (Betty)
einmal gehört haben, die ihr wie angegossen sitzen, noch wer zuvor auf dem
Klavier –bedeutungsschweres Detail: es ist nicht gestimmt – früher gespielt hat.
Am Ende muss sie sogar als verwöhnte Papa-Göre dastehen, damit ihre Ignoranz
glaubwürdig ist. Der Film schließt fast im Ulk.
Mit Laura erreichen die Figuren,
die Paula Beer für Petzold verkörpert, einen neuen Grad der Unwirklichkeit. Weil
Laura, hegelianisch gesprochen, den Tod nur an sich hat, aber nicht für sich,
als Bewusstsein, wird ihrer Figur wie dem Publikum eine metaphysische Erfahrung
besonderer Art vorenthalten, wie sie etwa bei Pirandello oder Sartre begegnet.
Sie besteht im Durchleben der Konsequenz des Todes. Unter dem Diktat des
Farbschicksals hätte Laura als ihrer selbst als solche bewusste Wiedergängerin
einer Toten den unheilbaren Riss spüren können, den ein Freitod hinterlässt, wie
sie ihn anscheinend im Sinn gehabt hat. Das eigene Leben hat ebenso
unschätzbaren Wert für einen selbst wie für die anderen.
Das konnte oder wollte
Petzold nicht zeigen. Vielleicht war es ihm zu erbaulich. Aber seine Alternative
ist das schlechte Alibi für eine reifere Geschichte, die der Stoff hergegeben
hätte und mit der der Film das Niveau des Anfangs hätte wahren können. Petzold
hat die Schlüsselzeile des Songs „The Night“, den Laura und Max hören, überhört,
nämlich dass die Nacht – der Tod - einem den Kopf verdreht. Seinen Kopf hat
er/sie nicht genug verdreht.
Andreas Günther
