Samstag, 18. Oktober 2025

Schicksalsbotschaften

 

Zu den Filmen Jetzt oder gleich (2016) und Mörderische Gesellschaft (2008), die bis zum 6.11. bzw. 30.10. 2025 in der ARTE-Mediathek zur Verfügung stehen.

Leichtigkeit der Tragik: In Jetzt oder gleich und Mörderische Gesellschaft lässt Autor und Regisseur Pascal Bonitzer unter Mithilfe seiner Tochter Agathe Persönlichkeiten dessen, was man Establishment nennt, von Schicksalsbotinnen heimsuchen. Das sorgt für viel gute Laune.

Wie gut, dass es die ARTE-Mediathek mit ihren besonderen Kino-Stücken gibt. Sie erlaubt, herausragende Filme nachzuholen – am besten mit Beamer! -, die man in den Lichtspielhäusern unziemlicherweise verpasst hat. Sicher haben auch andere öffentliche Anbieter Autorenfilme in ihrem Programm – aber doch selten so subtile wie Jetzt oder gleich (2016) und Mörderische Gesellschaft (2008).

Für beider Komödien Regie und Drehbuch zeichnet Pascal Bonitzer verantwortlich. Er war Redakteur der berühmtesten Filmzeitschrift der Welt, die Cahiers du cinéma, und hat mit seinem noch viel namhafteren Schreib-Kollegen Jean-Claude Carrière (Cyrano de BergeracEine Komödie im Mai, Der diskrete Charme der Bourgeoisie...) ein vielbeachtetes Standardwerk des Drehbuchschreibens verfasst. Was nicht bedeutet, dass er als Praktiker den schematischen und gratifikationsorientierten (‚Welchen Nutzen zieht der Zuschauer aus diesem Film?‘) Dramaturgien Hollywoods folgen würde.

In Jetzt oder gleich tritt die junge Nora, gespielt von Bonitzers Tochter Agathe, in das Management eines Beratungsunternehmens ein, das auf Mergers and Acquisitions, zu deutsch: Fusionen und Übernahmen spezialisiert ist. Dabei geht es in der Regel um sehr viel Geld, nicht nur für die beteiligten Unternehmen, sondern auch für diejenigen, die die Deals einfädeln. Bonitzers Drehbuch, das er zusammen mit Agnès de Sacy, gibt Jargon und Denkweise dieser Leute überzeugend wieder. Immer sehr gut vorbereitet und sprühend vor Ideen, immer typgerecht und stilsicher gekleidet, gewinnt die schlanke, rothaarige, energische Nora schnell das Wohlwollen ihrer Chefs Barsac (Lambert Wilson) und Prévôt-Parédès (Pascal Greggory). 

Nora (Agathe Bonitzer) und Xavier (Vincent Lacoste) kämpfen hart um opulente M&A-Deals.

 

 

Dabei ahnt sie lange nicht, dass die bloße Tatsache, dass sie die Tochter des Chemikers Serge Sator ist, sie zu einer Art Sendbotin des Schicksals macht. Sie erinnert nämlich die beiden Profthaie plus Barsacs Frau Solveig (Isabelle Huppert) an die Tragik ihres Lebens, ja reißt sie in diese zurück, ruft ihre Verletzlichkeit und Menschlichkeit wach.

Die einzelne Szene überragt die erzählte Geschichte, wenn Bonitzer vier großen Schauspielern viel Raum gibt, um die anrührende Unbeholfenheit ihrer Figuren im Umgang mit jahrzehntealter Eifersucht und Rivalität darzustellen. Barsac, Prévôt-Parédès, Solveig und Serge sind einmal auf derselben Elitehochschule gewesen und haben einander anscheinend unüberwindliche seelische Verletzungen zugefügt, für die sie immer noch keine Sprache finden. Aber gerade die Sprachlosigkeit verwandelt sich zu (bisweilen makabrer) Komik.

Die vielleicht schon seit damals ständig beschwipste Solveig steigt bei Noras Besuch bei den Barsacs auf den Treppenstufen aus dem ersten Stock herab wie auf den Klangstäben eines Xylophons. Etwas später ihre Knie juchzend im kurzen Rock auf Serges Couch hin- und hierschiebend, wird sie ihren einstigen Liebhaber noch einmal zu verführen suchen. Prévôt-Parédès oszilliert zwischen Selbstmord-Versuch und abstruser Umschreibung seiner Parasiten-Paranoia. Barsac verschanzt sich hinter hilflosem Zynismus. 

Der schwerste Fall aber ist Serge, von Jean-Pierre Bacri in einer seiner letzten Rollen verkörpert: grantelig, kauzig, scheu, ja immer auf der Flucht vor seinen Mitmenschen, seit er einmal in einem Gedicht zu viel von sich und seiner Geliebten preisgegeben hat…Hart kontrastiert das Lavieren und Vermeiden der Älteren mit dem Tempo und der Abgebrühtheit, mit der Nora mit ihrem Kollegen Xavier (Vincent Lacoste) Anziehung und Abstoßung ausagiert und dabei ihre Schwester Maja (Julia Faure) auszubremsen sucht, die auch an dem jungen Mann im „Kaufhaussakko“ (ihr Wort) interessiert ist. Dass die starke junge Frau dann doch noch irgendwie zerbrechlich erscheinen muss, stört erheblich.

Foto zum Film Tout de suite maintenant - Bild 5 auf 9 - FILMSTARTS.de
Solveig (Isabelle Huppert) und Serge (Jean-Claude Bacri) kommen sich anscheinend wieder näher.

 

Mörderische Gesellschaft basiert auf Agatha Christies Kriminalroman Das Eulenhaus, eine Ermittlung von Hercule Poirot, die ich als sehr spannend und geheimnisvoll in Erinnerung habe. Bonitzer aber hat in seiner Adaption für die französische Gegenwart den legendären belgischen Detektiv gestrichen. Zwar bleibt das Rätsel erhalten, aber das herrschaftliche Anwesen, auf dem die Geschehnisse angesiedelt sind, dient vor allem als Bühne für hinreißende Schrullen und Obsessionen der Figuren, mit denen sie einander wie beim Kartenspielen übertrumpfen wollen und die das Publikum wie ein Fieber anstecken. Agathe Bonitzer spielt nur eine Nebenrolle, Lambert Wilson einen Neurochirurgen und überforderten herzenbrechenden Casanova, der, wie er in einer persönlichen Notiz schreibt, zu sich selbst zurück will, worauf ein Racheengel – der übrigens in Jetzt oder gleich letztlich auch nicht fehlt – eine tödliche Antwort hat.

Photo du film Le Grand Alibi - Photo 10 sur 21 - AlloCiné
Lambert Wilson spielt einen Neurochirurgen und überforderten Casanova.

 Andreas Günther

 

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